Abhandlung über die Natur | Abhandlung über die Natur | 53
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Drittens:

Wie wir in unseren Ausführungen schon verschiedentlich festgestellt haben, wird einer, der über sein vergangenes Leben nachdenkt, mit Herz oder Zunge "Ach" oder "Oh" sagen, entweder Bedauern empfinden oder sprechen:

"Dank und Preis sei Gott." Bedauern erwächst aus den Schmeyzen, die mit dem Ende früherer Freuden verbunden sind, aus Trennung von ihnen. Denn das Ende von Freude ist selbst schon ein Schmerz. Manchmal vermag eine augenblickliche Freude ewigwährenden Schmerz zu verursachen. Daran zu denken gleicht dem Öffnen einer Wunde, läßt das Bedauern hervorströmen. Die dauernde geistige Freude jedoch, die aus dem Ende der augenblicklichen früheren Schmerzen folgt, läßt den Menschen sagen: "Dank und Preis sei Gott." Wenn der Mensch, über diese ihm angeborene Eigenschaft hinaus, nun noch des Lohnes gedenkt, der aus dem Unglück folgt, der Vergeltung, die seiner im Jenseits wartet, wenn er erkennt, daß sein kurzes Leben einem langen Leben gleicht wegen seiner Leiden, so Wird er nicht nur geduldig, sondern auch dankbar sein, und er wird sagen:

"Lob sei Gott für jegliche Lage (in der ich mich befynde), außer dem Unglauben und dem Irrtum"

Im allgemeinen sagt man, daß Unglück lange währt: Es währt lange, aber nicht, weil es sorgenreich und betrüblich ist, wie man gewöhnlich glaubt, sondern weil es bedeutsame Folgen hervorbringt, gerade wie ein langes Leben.

Viertens:

Wie wir schon im ersten Abschnitt des "Einundzwanzigsten Wortes"* *Bezieht sich auf das Werk Said Nursi’s; Sözler.

erläuterten, genügt die Kraft des geduldigen Ertragens, die dem Menschen durch Gott den Allerhöchsten gegeben ist, jeglichem Unglück, wenn sie nicht auf bloße Einbildung verschwendet wird. Aber der Mensch verschwendet seine Ausdauer auf Vergangenheit und Zukunft durch das Übergewicht der Einbildung, durch seine Nachlässigkeit, durch die Vorstellung, dieses vorübergehende Leben sei von ewiger Dauer. Seine Geduld entspricht dem Unglück der Gegenwart nicht und so fängt er an, sich zu beklagen. Das ist so, als klage er Gott vor den Menschen an - Gott behüte! In völlig ungerechtfertigter, schon wahnsinniger Weise beklagt er sich und beweist seinen Mangel an Geduld.

Denn wenn der Tag, der vergangen ist, auch unglücklich war, ist die Verzweiflung vorüber und nur Ruhe bleibt. Der Schmerz ist vorbei und die Freude seines Endes bleibt. Die Sorge ist vorüber und der Lohn bleibt. Darum sollte man sich nicht beklagen, sondern für die Freude dankbar sein. Man sollte das Unglück daher nicht mit Groll aufnehmen, sondern es lieben, denn das vergängliche Leben der Vergangenheit wird um des Unglücks willen einem ewigen gesegneten Leben gleich. Sich mit seiner ganzen Einbildung auf vergangene Schmerzen zu konzentrieren und so seine Kraft zum Ausharren zu verschwenden, ist Narrheit. Auch ist es Narrheit, schon jetzt an das Unglück und die Krankheit der kommenden Tage zu denken, unduldsam zu sein, denn diese Tage sind noch nicht gekommen.

kein Ton