Abhandlung über die Natur | Abhandlung über die Natur | 54
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Es ist völlig verrückt, sich selbst zu sagen: "Morgen oder übermorgen werde ich hungern und dursten" und darum heute ständig essen und trinken. Gleichermassen ist es eine Dummheit, auf die man kein Mitleid und Mitgefyihl verscbwenden sollte, wenn man über das Unglück und die Krankheiten der Zukunft nachdenken will, die jetzt gar nicht existieren, wenn man sie schon jetzt erleidet.

Kurz gesagt: so, wie Dankbarkeit das göttliche Wohlwollen verstärkt, so verstärkt Klage das Unglück und beseitigt allen Grund zum Mitgefühl. Im ersten Jahr des ersten Weltkrieges wurde ein gesegneter Mensch aus Erzurum von einer schrecklichen Krankheit befallen. Ich besuchte ihn, und er beklagte sich bitterlich: "Ich habe seit hundert Nächten nicht mehr schlafen können!" Ich war sehr bekümmert.

Plötzlich kam mir ein Gedanke, und ich sagte: "Bruder, die hundert Tage voll Mühen, die Du verbracht hast, sind nun wie hundert Tage voll Glück. Denk nicht daran und beklage dich nicht. Betrachte sie vielmehr mit Dankbarkeit. Was die kommenden Tage betrifft, sie sind noch nicht ,gekommen. Begib dich in den Schutz des Barmherzigen und Allergnädigsten Herrn. Weine nicht, bevor man dich schlägt, fürchte nichts, laß das, was nicht ist, nicht sein. Bedenke die jetzige Stunde. Deine Kraft der Geduld genügt für diese Stunde. Handele nicht wie ein wahnsinniger Kornmandant, der am rechten Flügel Hilfe erwartet von feindlichen Deserteuren auf der linken Seite und nun schon seine Kräfte von der Mitte nach links und rechts verteilt, bevor seine rechte Flanke verstärkt ist. Der Feind vermag seine Mitte, schwach und verlassen, mit geringer Kraft zu zerschlagen. Bruder sei nicht wie dieser. Sammle all deine Kräfte für die jetzige Stunde und gedenke der Gnade Gottes, des Lohnes im Jenseits, gedenke, wie dein kurzes vergängliches Leben sich in ein dauerndes, unvergängliches wandelt. Statt dich so bitter zu beklagen, sei froh und dankbar." Sehr erleichtert sagte er: "Preis und Dank sei Gott. Meine Kranktieit ist nur ein Zehntel dessen, was sie vorher war!"

Fünftens:

Dieser Punkt umfaßt drei Dinge.

Zum ersten: Ein wahres und schädliches Unglück ist etwas, das den Glauben antastet. Vor dem Unglüek, das den Glauben betreffen mag, soll man immer Zutlucht in der Gegenwart Gottes suchen und ihn um Hilfe bitten. Unglück aber, das den Glauben nicht berührt, ist kein wahres Unglück, wenn man es richtig ansieht. Manchmal handelt es sich um eine Warnung Gottes. Wenn ein Schafhirte einen Stein unter seine Schafe wirft, die eine fremde Weide betreten, gilt der Stein als eine Warnung, der sie vor schädlichem Tun bewahrt; voll Dankbarkeit kehren sie um. Ebenso gibt es zahlreiehe Warnungen Gottes; Ermahnungen, auch solche; die Strafe für Sünde sind, andere, die des Menschen Nachlässigkeit auf heben, ihn an seine menschliche Hiflosigkeit und Schwäche erinnern und in ihm eine ruhige Zuversicht erwecken. Was die verschiedenen Arten von Unglück betrifft, die wir Krankheiten nennen, handelt es sich nicht um Unglück, sondern vielmehr, wie schon gesagt, um eine Gnade Gottes, ein Mittel zur Reinigung. Nach einer Überlieferung heißt es, daß die Sünden durch das Fieberschütteln abfallen wie die reifen Früchte. Prophet Ajjub (Hiob) (Friede sei mit ihm) erbat mit seinem Bittgebet nicht Ruhe für die eigene Seele, sondern vielmehr Heilung zum Zweck der Anbetung, als die Krankheit sein Gottgedenken mit Zunge und Herz bedrohte.

kein Ton