Wort | Erster Teil eines Briefes zum »Zehnten Wort« | 119
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liebevollem und opferbereitem Mitleid möglich, und diese wahrhaftige Verehrung, das herzliche Erbarmen kann nur in dem Gedanken und auf dem Glaubensgrundsatz einer ewigen Freundschaft und einer ewigen Partnerschaft und einem immerwährenden Beieinandersein möglich sein in der Idee, sich für eine grenzenlose Zeit und ein unbegrenztes Leben in väterlicher, kindlicher, brüderlicher und freundschaftlicher Verbundenheit zusammenzufinden. So sagt ein Mensch zum Beispiel: »Diese meine Frau wird in einer ewigen Welt, einem ewigen Leben meine immerwährende Gefährtin sein. Es macht nichts, wenn sie jetzt alt und hässlich geworden ist. Denn ihr ist eine ewige Schönheit zu Eigen, die wiederkehren wird. Und ich bin dazu bereit, für eine solch immerwährende Kameradschaft jedes Opfer zu bringen und ihr Barmherzigkeit zu erweisen.« So kann er seiner altgewordenen Frau mit der gleichen Liebe (muhabbet), Zärtlichkeit (shefqat) und Barmherzigkeit begegnen, wie einer Paradiesesjungfrau (huri). Anderenfalls würde eine Kameradschaft, die nach einem kurzen, ein-, zweistündigen, äußerlichen Beisammensein durch einen Abschied und eine Trennung auf ewig wieder gelöst wird, sicherlich nur eine Art von sehr oberflächlicher und nur vorübergehender emotionaler Bindung ohne jede Wurzel sein, worin Erbarmen nur ein Wort und Ehrerbietung nur gekünstelt bleibt. So wie im Tierreich würden arteigene Interessen und andere dominierende Eigenschaften über Ehrerbietung und Barmherzigkeit siegen, und dieses irdische Paradies in eine Hölle verwandeln.

So betrifft also eine unter hundert Folgen des Glaubens an die Wiederversammlung das gesellschaftliche Leben der Menschen. Und diese eine einzige Folge hat aber hunderte von Möglichkeiten, sie zu betrachten und anzuwenden. Vergleicht man diese vier oben erwähnten Beweise mit den anderen (noch möglichen), dann wird es verständlich, dass die Wiederversammlung sich als ein tatsächliches Ereignis bewahrheiten wird, und dies mit der Gewissheit der Existenz der Menschheit und ihrer gemeinsamen Bedürfnisse. Ja, die Existenz eines Bedürfnisses im menschlichen Magen ist sogar ein offensichtlicher Beweis und ein klares Zeugnis für die Existenz der Nahrung. Ja, sie teilt diese Tatsache sogar noch viel deutlicher mit. Das aber beweist: Nimmt man der Menschheit die Schlussfolgerung, die sich aus der Tatsache der Wiederversammlung ergibt, weg, dann fällt dieses so wichtige, erhabene und lebendige Wesen der Menschheit, seine Seele, auf die Stufe eines Kadavers herab, der als Abfall nur noch den Mikroben dient und ungenießbar (murdar, unrein) ist. Diejenigen, welche sich so intensiv mit der Regierung, den Sitten und den gesellschaftlichen Beziehungen unter den Menschen beschäftigen, die Politiker, Moralisten und Soziologen sollen einmal die Ohren spitzen! Sollen sie doch endlich einmal sagen, wie sie diese Leere ausfüllen, und womit sie diese tiefe Wunde heilen wollen?

kein Ton