Dreiundzwanzigstes Wort | Dreiundzwanzigstes Wort | 17
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         Denn wenn wir den Menschen mit dem Tier vergleichen, sehen wir, daB der Mensch hin­sichtlich seiner Anlagen und Fahigkciten sehr reich ist. Hundertfach reicher als das Tier. GenieBt er das diessei-tige animalische Leben, fallt er hundertfach tiefer; denn jeder GenuB, den er durchlebt, tragt die Spur tausender Schmerzen. Der Schmerz gegeniiber der Vergangenheit, die Angst vor der Zukunft und auch der Schmerz nach je-dem GenuB, nimmt ihm den Reiz, hinterlaBt eine Spur in seinem GenuB. Nicht so das Tier! Es genieBt ohne Schmerz, noch beangstigt es die Angst vor der Zukunft. Es lebt und schlaft in Ruhe, dankt seinem Schopfer.

        Das heiBt also, daB der Mensch, der als ein Musterbei-spiel der Schopfung erschaffen wurde, noch hundertfach unter ein Tier wie den Sperling herabsinkt, obwohl er doch von seiner Substanz her dem Tier hundertfach iiber-legcn ware, wenn er sich in seinem Denken auf das rein Irdische beschrankt. Ich hatte diesen Tatbestand bereits weiter oben in einem Gleichnis erklart. Ich mGchte in diesem Zusammenhang dieses Gleichnis noch einmal anfiihren. Es war dies wie folgt:

Ein Herr gibt seinern Diener zehn Goldstucke und be-fielt ihm: >>Lasscn Sie sich einen Anzug aus einem Stoff von guter Qualital schneidern!<< Einem zweiten gibt er tausend Godsliicke, steckt ihm einen Zettel in die Ta-sche, auf dcm verschiedene Dinge aufgeschricben ste-hen und schickt ihn zum Basar. Der erste Diener kauft ftir.zehn Goldstucke einen vollendeten Anzug aus bc-stem Stoff. Der zweite Diener in seiner Verriickthcit schaut dem ersten Diener hinterdrein, gibt einem Kauf-mann die tausend Goldstucke und verlangt, ohne den Zettel zu lesen, der in seiner Tasche steckt, einen Anzug. Aber der gewissenlose Kaufmann gibt ihm einen Anzug aus einem alten, schabigen Stoff. Der ungliickseligc Die­ner tritt vor seinen Herrn hin. Br wird zornig zur Rede gestcllt und streng bestraft.

Wer also ein biBchen Verstand besitzt, begreift, daB dem zweiten Diener die tausend Goldstiicke nicht gege-ben wurden, um damit einen Anzug zu kaufen, sondern urn damit ein bedeutendes Geschaft abzuschlieBen.

        Desgleichen gilt: Der Mcnsch verfugt iiber geistige Anlagen und menschliche Sinne, deren jeder im Ver-gleich mil einem Tier hundertfach weiter ausgebildet ist. Wozu gebraucht der Mensch seine Anlagen und Fahig­keiten, wie z.B. das Auge, welches alle Schattierungen der Schonheit zu unterscheiden vermag, oder die Ge-schmacksempfindungen seiner Zunge, welche alle die verschiedenen Geschmacksrichtungen einer Mahlzeit gesondert wahrzunehmen vermag, oder den Verstand, welcher in alle Feinheiten der Wahrhcit eindringt, oder das Herz, welches sich nach jeder Art Vollkommenheit sehnt? Wozu gebraucht das Tier seine weit weniger, viel-leicht nur ein, zwei Stufen entwickelten Fahigkeiten? Der Unterschiedbesteht nurdarin, daB das Tier cine Fa-higkeit fiir seinen eigenen Gebrauch besonders entwik-kelt hat. Doch diese Entwicklung ist fiir es einc spe/.ifi-sche.

kein Ton