Sechsundzwanzigster Blitz | Dreizehnte Hoffnung | 14
(14-23)

Anm.* In dieser »Hoffnung« möchte ich von einer wichtigen Szene in meinem Lebens sprechen, und das möchte ich jedenfalls auch ziemlich ausführlich tun. Nur bitte ich Euch darum, euch dabei nicht zu langweilen und nicht zu ärgern.

Nach der Flucht aus der russischen Gefangenschaft während des Ersten Weltkrieges hielt mich meine Lehrtätigkeit im »Haus der Weisheit« (Dar-ul’Hikmet) in Istanbul zwei, drei Jahre lang fest. Danach flößte mir, ausgelöst durch die Unterweisung des weisen Qur’an, den Segen von Gauth-u ‘Azam (Sheich Geylani) und wachgerüttelt durch (die erneute Entdeckung) meines Alters, das städtische Leben in Istanbul Ekel ein und wurde ich des gesellschaftlichen Lebens überdrüssig. Das Gefühl der Sehnsucht nach der Heimat, welches Heimweh genannt wird, führte mich dazu, in meine Heimat zurückzukehren. Da ich nun einmal sterben werde, will ich in meiner Heimat sterben, sagte ich und ging nach Van. Vor allem besuchte ich in Van meine Medresse, die Horhor genannt wird. Ich sah, dass auch sie, wie die anderen Wohngebiete in Van, während der russischen Besetzung von den Armeniern in Brand gesteckt worden war. Da war die berühmte Festung von Van, welche ganz aus dem Felsen heraus gehauen ist. Meine Medresse stand wie angeklebt genau an ihrem Fuß. Meine Schüler in dieser Medresse, die ich vor sieben, acht Jahren verlassen hatte, wahrhafte Freunde, Brüder und Vertraute, traten mir vor Augen. Ein Teil von diesen meinen opferbereiten Freunden sind als wahre Märtyrer (direkt), ein anderer Teil infolge der Katastrophe als geistige Märtyrer (erst später) gestorben. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich stieg zur höchsten Stelle der Festung hinauf, etwa so hoch wie zwei Minarette über der Medresse, und setzte mich. Meine Phantasie versetzte mich in die Zeit vor sieben, acht Jahren zurück. Und da meine Phantasie ziemlich stark ist, hat sie mich in der damaligen Zeit eine ganze Weile umher geführt. Es gab dort oben niemand, der mich aus meiner Phantasie hätte zurückrufen, aus jener Zeit hätte zurückführen können. Denn ich war allein. Jedes Mal wenn ich meine Augen öffnete, sah ich innerhalb von sieben, acht Jahren so viele Verwandlungen, als wäre ein Jahrhundert vergangen. Ich sah, dass die Innenstadt zu Füßen der Festung, wo meine Medresse lag, ganz und gar verbrannt und zerstört war. Was ich früher gesehen hatte und heute sah, betrachtete ich mit solch traurigen Augen, als wäre ich erst nach zweihundert Jahren wieder zur Welt gekommen. Die meisten Männer in diesen Häusern waren meine Freunde und Kameraden. Der größte Teil von ihnen starb entweder auf der Flucht (Möge Allah ihnen barmherzig sein!) oder geriet in der Fremde ins Elend. Und weiter sah ich, dass alle Häuser der Muslime in Van – außer dem Wohnviertel der Armenier – zerstört waren. Es tat mir in meinem tiefsten Herzen weh. Ein solches Mitleid ergriff mich, dass ich, hätte ich tausend Augen gehabt, mit ihnen allen zusammen geweint hätte. Ich glaubte, ich wäre aus der Fremde in meine Heimat zurückgekehrt, aus der Fremde geflüchtet. »Jammer und Elend!«, es traf mich das Gefühl der Fremde am furchtbarsten in meiner Heimat. Ich sah hunderte meiner Schüler und Freunde, die mit mir, wie der in der Zwölften Hoffnung erwähnte Abdurrahman, innerlich tief verbunden waren, im Grab und ihre Wohnstätten als Ruinen.

Es gab da seit langem von jemandem einen Ausspruch in meinem Gedächtnis. Seinen Sinn konnte ich nicht erkennen... Vor dieser traurigen Szene erkannte ich aber seinen Sinn vollständig. Dieser Ausspruch lautete:

kein Ton