Wort | Einundzwanzigstes Wort - Die Wunden des Herzens | 390
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Ich sagte zu mir: »Oh meine Seele!... Da sitzt du nun in der Tinte, als habest du die Weisheit getrunken, liegst auf dem Bett deiner Faulheit und schläfst den Schlaf deiner Gottvergessenheit. So lass dir denn durch mich die folgenden fünf Ermahnungen entgegenhalten...

Erste Ermahnung: Oh meine arme Seele! Ist dein Leben etwa ewig? Hast du etwa einen festen Vertrag dafür, dass du noch bis nächstes Jahr, ja auch nur bis morgen am Leben bleiben wirst? Was deinen Überdruss bewirkt, ist dein Traum von einem ewigen Leben. In deinem Übermut verbummelst du dein Leben, als könntest du ewig in dieser Welt bleiben. Könntest du verstehen, wie kurz dein Leben ist, ja in Unfruchtbarkeit dahingeht, sicherlich brächte dich das dazu, von vierundzwanzig Stunden eine für das wahre Leben und die ewige Glückseligkeit zu opfern, um einen schönen, angenehmen und leichten Dienst zu verrichten, der dir Barmherzigkeit (rahmet) bringt. Du würdest deine Langeweile überwinden. Es könnte dich dazu veranlassen, dich allen Ernstes nach einem solchen Dienst zu sehnen, ihn als willkommen anzusehen und Geschmack an ihm zu finden.

Zweite Ermahnung: Oh meine Seele, die du dem Bauch dienst! Du isst Tag für Tag Brot, trinkst Wasser, atmest Luft ein. Macht das nicht überdrüssig? Sicherlich nicht; denn in dem ständig wiederkehrenden Bedürfnis danach bekommst du nicht Überdruss, sondern Appetit.

Wenn das aber so ist, dann kann auch das Gebet, das für die Freunde in deinem Hause, welche mein Körper ist, nämlich für mein Herz eine Labsal, für meinen Geist das Wasser des Lebens und für die Blumen des Herrn (=die feineren Sinnesorgane der Seele) gleich einer Liebkosung des Windes ist, der durch das Gebet angezogen, herbeigelockt wird, niemals zur Langeweile führen. In der Tat kann ein Herz, das von grenzenlosem Kummer und Schmerz heimgesucht und geplagt, zahllosen Genüssen verfallen und von unendlichen Hoffnungen umschmeichelt ist, nur dann mit der notwendigen Kraft und Ausdauer versorgt werden, wenn es in flehentlichem Gebet an die Pforte des Freigiebigen und Allbarmherzigen pocht, der da aller Dinge mächtig ist. Ja, in dieser vergänglichen Welt, durch die die Seele (ruh) so schnell hindurcheilt, Weh!-schreiend ob der Trennung von all den Dingen und Geschöpfen, mit denen sie doch in Beziehung steht, kann der Durst nur mit dem Wasser des Lebens aus dem Brunnen der Barmherzigkeit gestillt werden, wenn sich die Seele im Gebet dem Ewig-Angebeteten (Ma´bud-u Baki) und Immerdar-Geliebten (Mahbub-u Sermedi) zuwendet, der alle Dinge übertrifft.

kein Ton