Wort | Zehntes Wort - Zweites Kapitel | 101
(69-106)

Zusammenfassung: Betrachen wir die völlige Ungleichheit zwischen den verschiedenen Handlungsabläufen, wie einerseits das Leben weltweit vereinigt wird und der Tod es rasch wieder trennt, die prunkvollen Versammlungen und eiligen Auflösungen, die gewaltigen Leichenbegräbnisse und die großen Manifestationen, und wie wir andererseits in dieser vergänglichen Welt mit all dem nur für eine kurze Zeit winzige Früchte ernten und nur unbedeutende Zwischenziele erreichen, so ist dies, als wollten wir einem kleinen Stein Sinn und Weisheit eines großen Berges zuschreiben, den Sinn eines großen Berges aber dem eines kleinen Steines gleich erachten. Dies kann aber niemals der Vernunft und Weisheit entsprechend sein.

Mit anderen Worten: Ein derartiger Mangel an Verhältnismäßigkeit zwischen allem Sein in dieser Welt und den darin ablaufenden Prozessen und deren auf sie beschränkten Ergebnissen bezeugt mit Sicherheit, dass das Antlitz allen Seins der Welt der Bedeutungen zugewandt ist. Dort wird es seine ihm entsprechenden Früchte ernten und dort werden seine Augen die Heiligen Namen (Gottes) betrachten. Sein Ziel schaut nach jener Welt hin. Während sein Wesen unter dem Boden dieser Erde liegt, entfalten sich seine Urbilder in der Welt der Entsprechungen (alem-i misal). Der Mensch sät hier seinen Fähigkeiten entsprechend aus und er wird gleich einem Samenkorn ausgesät. Im Jenseits bringt er die Ernte ein. Ja, betrachtet man das Antlitz der Dinge, das auf die Namen Gottes und auf die jenseitige Welt hin ausgerichtet ist, dann sieht man, dass jedes einzelne Samenkorn ein Wunder der Macht ist, und ebenso viele Bestimmungen hat wie ein Baum. Jede einzelne Blüte, die ein Wort der Weisheit ist, hat den gleichen Sinn wie alle Blüten des Baumes, und jede einzelne Frucht, die ein Wunderwerk ist und ein Gedicht der Barmherzigkeit, enthält so viel Weisheit wie alle Früchte des Baumes. Sie dient uns zur Nahrung, was unter tausenden von Weisheiten nur eine einzige Weisheit ist, vollendet ihre Aufgabe, erfüllt ihren Sinn, stirbt und wird in unserem Magen begraben *.

Weil nun aber diese vergänglichen Dinge an einem anderen Ort bleibende Früchte hervorbringen, immerwährende Urbilder hinterlassen und in anderer Hinsicht eine ewige Bedeutung zum Ausdruck bringen (die Namen Gottes verkörpern), rezitieren sie beständig den Lobpreis Gottes (tesbihat). Der Mensch aber, der ihr Antlitz betrachtet, das auf diesen Aspekt hin ausgerichtet ist, wird dadurch zum Menschen. So findet er in der Vergänglichkeit den Weg zur Ewigkeit.

kein Ton