Blitz | Sechsundzwanzigster Blitz | 324
(312-372)

Achte Hoffnung

Zu einer Zeit, da sich mein Haupt mit weißen Haaren, dem Merkmal meines Alters zu bedecken begann, sah ich den Tumult des Weltkrieges, welcher den tiefen Schlaf meines Jungseins (in dem ich mich bis dahin noch immer befunden hatte) noch mehr vertiefte, erfuhr ich die Ungewissheit meiner Gefangenschaft, stieg auf zu Amt und Würden, Ehre und Ansehen. Als ich dann in Istanbul ankam, wurde ich, angefangen von dem Kalifen, über den Scheich-ul’Islam, den Obersten Kommandanten bis hinab zu den Schülern in den Medressen mit weit größerer Hochachtung willkommen geheißen, als mir eigentlich zustand. Der Rausch der Jugendzeit und die geistige Haltung, die aus diesem Zustand erwuchs, vertiefte jenen Schlaf dermaßen, dass ich die Welt als quasi beständig und mich selbst in einem seltsamen Zustand erfuhr, gleich einem, der, als sei er selbst unsterblich, der Welt verhaftet ist.

In jener Zeit ging ich im heiligen Monat Ramadan in die gesegnete Moschee Bayezid in Istanbul, um den Rezitatoren zu lauschen, die den Qur’an aufrichtigen Herzens vortrugen. Der Qur’an, dessen Verkündigung ein Wunder ist, verkündet mit seinem hohen Anspruch vom Himmel herab durch den Mund der Rezitatoren den Erlass

»Eine jede Seele wird einmal den Tod kosten!« (Sure 3, 185)

mit großer Macht, ein Ruf, welcher die Vergänglichkeit des Menschen und die Sterblichkeit alles Lebendigen verkündet. Dieser Ruf drang in mein Ohr ein, nistete in meinem Herzen, schlug jene so mächtigen Schichten des Schlafes, des Rausches und der Gottvergessenheit in Stücke. Ich ging aus der Moschee. In der Trunkenheit jenes langen und tiefen Schlafes, der so lange über meinem Haupte gelegen hatte, erlebte ich mich noch Tage lang wie ein Schiff, das gleich einem Unwetter, Feuer und Rauch über meinem Kopf, die Orientierung verloren hat. Jedes Mal, wenn ich mich im Spiegel betrachtete, sagten mir meine weißen Haare: »Gib Acht!« In der Ermahnung meiner weißen Haare wurde mir meine Lage klar und ich sah:

Die Jugendzeit, der ich so sehr vertraut hatte und in deren Freuden ich vernarrt gewesen war, sagte mir Lebewohl. Und das irdische Leben, dessen Liebe ich so sehr verhaftet gewesen war, begann zu verlöschen. Und die Welt, der ich so sehr verhaftet gewesen, in die ich geradezu verliebt gewesen war, sagte mir: »Viel Glück auf deinem Weg!«, und gemahnte mich daran, dass ich aus diesem Gasthaus ausziehen werde. Sie selbst aber sagte zu mir: »Gott befohlen!« und bereitete sich auf ihren Abschied vor.

kein Ton