Brief | Zweiundzwanzigster Brief | 358
(357-380)

Erster Aspekt: Ein Verbrechen im Hinblick auf die Wahrhaftigkeit.

Oh Mensch, der du unbillig und ungerecht Hass und Feindschaft gegen die Gläubigen nährst! Angenommen, du befändest dich auf einem Schiff oder in einem Haus und mit dir zusammen wären neun Unschuldige und ein Verbrecher. Wenn nun ein Mann versuchen wollte, dieses Schiff zu versenken oder dieses Haus niederzubrennen, so weißt du, welch unverhältnismäßiges Unrecht das wäre. Du würdest über diesem Unrecht die Himmel anrufen, dass sie dich hören sollen. Und selbst wenn es nur einen einzigen Unschuldigen unter neun Verbrechern gäbe, wäre es dennoch gegen jedwedes Recht und Gesetz, dieses Schiff zu versenken.

In gleicher Weise gilt: Vergleichen wir einen Gläubigen in seinem Wesen mit einem Haus des Herrn oder einem göttlichen Schiff, so finden sich darin nicht nur neun, nein, sogar zwanzig Attribute wie z.B. der Glaube, die Religion des Islam, eine gute nachbarschaftliche Gesinnung, deretwegen man ihn nicht verurteilen kann. Hegtest du nun etwa den Gedanken oder nährtest in dir gar den Wunsch, einem Gläubigen wegen einer schlechten Eigenschaft, die dich verletzt und dir nicht gefällt, Hass und Feindschaft entgegenzubringen und dieses unsichtbare Haus seiner Persönlichkeit im übertragenen Sinne zu zerstören, zu verbrennen, zu versenken, so wäre das wie in dem angeführten Beispiel eine gnadenlose, eine abscheuliche Ungerechtigkeit.

Zweiter Aspekt: Ein weiteres Verbrechen; eines im Hinblick auf die Weisheit.

Dies ist so, weil bekanntermaßen Liebe und Hass einander wie Licht und Finsternis entgegengesetzt sind. Beide können nicht miteinander gemeinsam in ihrem wahren Sinn und Wesen bestehen bleiben.

Wenn die Liebe im Herzen eines Menschen hinsichtlich der Qualität ihrer Beweggründe wirkliche Liebe ist, dann wird Hass unwirklich und verwandelt sich in Mitgefühl. In der Tat liebt ein Gläubiger seinen Bruder und muss ihn auch lieben. Das Böse in seinem Bruder aber erregt in ihm nur Mitgefühl. Nicht mit Gewalt bemüht er sich darum, vielmehr in Güte ihn zu veredeln. Darum bringt ein Hadith ganz klar zum Ausdruck: »Ein Gläubiger soll einem anderen Gläubigen nicht länger als drei Tage zürnen, Gespräch und Beziehung zu ihm nicht abbrechen.»

Gewinnen aber die Gründe für eine Feindschaft die Oberhand und bewirkt diese Feindschaft im Herzen eines Menschen wirklichen Hass, dann wird die Liebe darin unwirklich und führt zu Liebedienerei und Kriechertum.

kein Ton