Blitz | Sechsundzwanzigster Blitz | 346
(312-372)

Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich stieg zur höchsten Stelle der Festung hinauf, etwa so hoch wie zwei Minarette über der Medresse, und setzte mich. Meine Phantasie versetzte mich in die Zeit vor sieben, acht Jahren zurück. Und da meine Phantasie ziemlich stark ist, hat sie mich in der damaligen Zeit eine ganze Weile umher geführt. Es gab dort oben niemand, der mich aus meiner Phantasie hätte zurückrufen, aus jener Zeit hätte zurückführen können. Denn ich war allein. Jedes Mal wenn ich meine Augen öffnete, sah ich innerhalb von sieben, acht Jahren so viele Verwandlungen, als wäre ein Jahrhundert vergangen. Ich sah, dass die Innenstadt zu Füßen der Festung, wo meine Medresse lag, ganz und gar verbrannt und zerstört war. Was ich früher gesehen hatte und heute sah, betrachtete ich mit solch traurigen Augen, als wäre ich erst nach zweihundert Jahren wieder zur Welt gekommen. Die meisten Männer in diesen Häusern waren meine Freunde und Kameraden. Der größte Teil von ihnen starb entweder auf der Flucht (Möge Allah ihnen barmherzig sein!) oder geriet in der Fremde ins Elend. Und weiter sah ich, dass alle Häuser der Muslime in Van – außer dem Wohnviertel der Armenier – zerstört waren. Es tat mir in meinem tiefsten Herzen weh. Ein solches Mitleid ergriff mich, dass ich, hätte ich tausend Augen gehabt, mit ihnen allen zusammen geweint hätte. Ich glaubte, ich wäre aus der Fremde in meine Heimat zurückgekehrt, aus der Fremde geflüchtet. »Jammer und Elend!«, es traf mich das Gefühl der Fremde am furchtbarsten in meiner Heimat. Ich sah hunderte meiner Schüler und Freunde, die mit mir, wie der in der Zwölften Hoffnung erwähnte Abdurrahman, innerlich tief verbunden waren, im Grab und ihre Wohnstätten als Ruinen.

Es gab da seit langem von jemandem einen Ausspruch in meinem Gedächtnis. Seinen Sinn konnte ich nicht erkennen... Vor dieser traurigen Szene erkannte ich aber seinen Sinn vollständig. Dieser Ausspruch lautete:

Das heißt: »Gäbe es keine Trennung von den Freunden, so könnte der Tod keinen Weg zu unserer Seele finden, sie nicht erreichen, um sie zu holen.« Das heißt also, was in tiefster Seele den Menschen sterben lässt, ist die Trennung von den Freunden. So hat denn in der Tat noch niemals ein Schmerz so sehr in mir gebrannt, mich weinen lassen. Wenn mir keine Hilfe aus dem Qur’an und aus dem Glauben gekommen wäre, würde dieser Gram, dieses Leid und diese Trauer in mir so übermächtig geworden sein, dass sie in mir die Seele hätte vertrieben. Schon in alter Zeit weinten die Dichter über die Wohnstätten, in denen sie sich mit ihren Freunden getroffen hatten und die mit der Zeit zu Ruinen wurden. Ich hatte eine Szene voll unendlichem Schmerz, Trennung und Leid vor Augen. Trauer eines Mannes, der nach zweihundert Jahren in die Wohngebiete seiner Freunde zurückkehrt, die er so sehr geliebt hatte... da weint mein Auge, weinen mit ihm mir Seele und Herz.

kein Ton