Brief | Sechzehnter Brief | 87
(83-102)

Dritter Punkt: Freunde, die an meine Ruhe denken und meine Haltung befremdlich finden, mit der ich jedem Übel in schweigender Geduld begegne, stellen sich folgende Frage: »Wie kannst du diese Umstände und all die Schwierigkeiten, die über dich gekommen sind, ertragen? Denn früher warst du doch so jähzornig und so auf deine Ehre bedacht und konntest noch nicht einmal eine harmlose Kränkung verkraften.«

Meine Antwort: Ich möchte Euch zwei kleine Erlebnisse und Geschichten zu Gehör bringen. Daraus könnt Ihr die Antwort entnehmen.

Erste Geschichte: Vor zwei Jahren hatte sich ein Direktor in meiner Abwesenheit grundlos in abschätziger Weise und mit beleidigenden Worten gegen mich ausgesprochen. Man teilte mir das später mit. Da stieg die Natur des Alten Said wieder in mir hoch und überwältigte mich fast eine Stunde lang. Danach aber ergriff durch die Barmherzigkeit Gottes des Gerechten eine Wahrheit mein Herz, vertrieb aus ihm jede Missstimmung, löschte meine Ansprüche gegenüber diesem Mann und ich trug ihm nichts mehr nach. Diese Wahrheit aber war die folgende:

Ich sprach zu meiner Seele: Wenn seine Beschimpfungen und die Fehler, die er bloßgestellt hat, mich selbst, meine Person (shahis) und meine Seele (nefis) betreffen, so möge Allahs Wohlgefallen über ihm sein, dafür, dass er die Ungebührlichkeiten meiner Seele ausgesprochen hat. Hat er recht gesprochen, so wird meine Seele zur Zucht führen und mir helfen, mich vor dem Stolz zu bewahren. Hat er aber falsch gesprochen, so ist er mir eine Hilfe, mich vor Heuchelei und trügerischem Ruhm zu bewahren, der die Grundlage aller Heuchelei ist. Ich habe in der Tat noch keinen Frieden mit meiner Seele geschlossen, denn ich habe meine Erziehung noch nicht vollendet. Sagte mir jemand, es säße ein Skorpion an meinem Hals oder auf meiner Brust, oder zeigte er darauf, so sollte man deswegen nicht gekränkt, vielmehr dafür dankbar sein. Beziehen sich jedoch die Beleidigungen dieses Mannes auf mich in meiner Eigenschaft als Diener am Glauben und am Qur’an, so betrifft mich dies nicht. Diesen Mann überlass ich dem Herrn des Qur’an, der mich in Seinen Dienst genommen hat. Er ist der Allmächtige (Aziz) und Allweise (Hakim). Wäre es aber nur, um mich zu beschimpfen, beleidigen, erniedrigen, so träfe mich auch dies nicht. Als ein Verbannter, ein Gefangener, ein Fremdling, dem die Hände gebunden sind, fällt es mir nicht mehr zu, selber meine eigenen Ehre wieder herstellen zu wollen. Es ist dies vielmehr die Aufgabe derer, die mich als Regierungsräte und Ratsherren in diesem Dorf, dieser Stadt, diesem Vilayat als ihren Gast im Auge behalten sollen. Die Beleidigung eines Gefangenen, der sich in der Hand irgendeines Menschen befindet, betrifft dessen Herrn und diesem obliegt die Verteidigung. So sind nun einmal die Tatsachen und so kam auch mein Herz zur Ruhe. Ich sagte:

kein Ton