Brief | Sechzehnter Brief | 92
(83-102)

Meine Antwort: Ich wurde vor zwanzig Jahren vor ein Kriegsgericht gestellt. Und auch schon füher, in der Zeit vor der Hürriyet (= die Zeit der konstitutionellen Monarchie, genannt »Hürriyet« = Freiheit) waren meine innere und äußere Haltung vielen bekannt. Desgleichen zeigt auch meine Verteidigungsrede vor dem Gericht mit dem Titel: »Mein Zeugnis an zwei Schulen des Unglücks« ganz deutlich, dass ich mein Leben in der Weise verbracht habe, dass ich mich nicht dazu erniedrigt habe, irgendwelche Manöver anzuwenden oder einen Hinterhalt anzulegen, ja noch nicht einmal zu einer harmlosen Lobhudelei. Hätte es eine solche Lobhudelei gegeben, so wäre in diesen fünf Jahren schon eine Anmeldung angedient worden. Mit einer solchen Lobhudelei möchte ein Mann sich beliebt machen. Er nimmt sich nicht zurück. Er hat immer eine Hinterlist, irgedeinen Betrug im Sinn. Ich aber habe mich trotz schwerer Angriffe und Kritiken zu keiner Würdelosigkeit erniedrigt. »Ich vertraue auf Gott«, sagte ich und habe den Weltleuten den Rücken gekehrt. Wer zudem das Jenseits kennt und die Realitäten in dieser Welt erkannt hat, wird da nicht bedauern, kehrt nicht wieder in die Welt zurück, strebt nicht nach ihr. Nach fünzig Jahren opfert ein Mann, der ganz auf sich allein gestellt und an irdischen nicht interessiert ist, nicht sein Ewiges Leben um in dieser Welt ein, zwei Jahre für leeres Gerede und politische Kurpfuscherei zu opfern... opferte er es aber, wäre das keineswegs besonders intelligent, vielmehr irrsinniger Wahnwitz. Was aber sollte aus der Hand eines solchen wahnwitzigen Irren schon kommen, dass man sich mit ihm beschäftigen sollte?

Was jedoch den Zweifel daran betrifft, ob ich nicht äußerlich zwar die Welt verlassen habe, mich ober doch innerlich noch nach der Welt sehne, so sage ich entsprechend dem Geheimnis:

»Ich will mein Herz (nefs) nicht freisprechen von Schuld; denn das menschliche Herz (nefsu l-emmare: das Tier in uns) ist dem Bösen zugeneigt.« (Sure 12, 53),

dass ich mich (nefs) nicht für schuldlos erklären will... denn das Tier in mir (nefs) verlangt ja nach all dem, was doch nicht gut ist. Aber in dieser vergänglichen Welt, in diesem behelfsmäßigen Gasthaus, in meinem vorgerückten Alter, ein ewiges, unvergängliches Leben und die Ewige Glückseligkeit innerhalb einer kurzen Lebensspanne für ein wenig Genuss zu zerstören, ist nicht Art eines Menschen von Verstand. Weil es aber nicht die Art eines Menschen von Verstand ist, hat sich dieses Tier in mir (nefsu l-emmare), mochte es nun wollen oder nicht, dem Verstand unterworfen.

Dritte irrtümliche Frage: Die Weltleute fragen mich: Liebst du uns? Sind wir dir genehm? Wenn du uns liebst, warum bist du uns dann böse und kümmerst dich nicht um uns? Wenn wir dir nicht genehm sind, bist du unser Gegner. Gegner aber werden von uns niedergeworfen.

kein Ton