Brief | Sechzehnter Brief | 99
(83-102)

Meine Antwort: Es gibt fünf, sechs Gründe dafür, dass ich einen solchen Antrag nicht stelle und auch gar nicht stellen darf.

Erstens: Ich habe mich in die weltlichen Angelegenheiten der Weltleute nicht eingemischt, sodass ich nun in ihrer Schuld stünde und bei ihnen vorstellig werden müsste. Ich bin ein Schuldner der göttlichen Allmacht (Qader) und habe mich gegen sie versündigt, sodass ich nun bei ihr vorstellig werden muss.

Zweitens: Ich habe mit absoluter Sicherheit geglaubt und erkannt, dass diese Welt eine Herberge ist, die sich schnell verwandelt. Deswegen ist sie keine wahre Heimat. Das ist überall das gleiche. Da ich aber nun einmal nicht ewig in meiner Heimat (Bitlis) bleiben kann, bringt es auch gar nichts ein, sich vergeblich darum zu bemühen, dorthin zu gelangen. Es ist nun einmal jeder Platz einer Herberge gleich. Ist aber der Herr dieser Herberge in Seiner Barmherzigkeit mir freundlich gesinnt, so ist mir jedermann freundlich gesinnt und jeder Platz ist mir ein freundlicher Ort. Ist Er mir aber nicht freundlich gesinnt, so lastet mir jeder Ort auf der Seele (qalb) und jedermann ist mein Feind.

Drittens: Ein Anmeldeantrag kann nur im Rahmen des Gesetzes erfolgen. Doch seit sechs Jahren hat man mich stets nur mit Willkür behandelt und außerhalb der Gesetze gestellt. Nach dem Gesetz für die Verbannten wurde ich nicht behandelt. Man hat mich so betrachtet, als sei ich vom bürgerlichen Recht, ja sogar von den Menschenrechten ausgeschlossen. Es ist daher einfach widersinnig, im Namen des Gesetzes bei denen einen Antrag auf Anmeldung einzureichen, die sich selbst gesetzwidrig verhalten.

Viertens: In diesem Jahr hat der Herr Distriktsdirektor in meinem Namen einen Antrag eingereicht, mit der Bitte, mir für einige Tage in Bedre, einem zur Stadtgemeinde von Barla gehörigen Stadtbezirk, Aufenthalt und Luftveränderung zu gestatten. Man hat mir diese Aufenthaltsgenehmigung nicht erteilt. Wenn aber bereits bei derart unwichtigen Angelegenheiten ein Antrag abgelehnt wird, wie kann ich denn dann bei solchen Leuten noch vorstellig werden? Wollte ich bei ihnen noch einen Antrag einreichen, wäre dies eine fruchtlose Erniedrigung in einer entwürdigenden Lage.

Fünftens: Gegenüber Leuten, die Unrecht für Recht hinstellen, sein Recht zu fordern und bei ihnen vorstellig zu werden, ist eine Ungerechtigkeit. Es wäre eine Respektlosigkeit gegenüber der Gerechtigkeit. Eine solche Ungerechtigkeit und eine solche Respektlosigkeit gegenüber dem Recht will ich nicht begehen und damit Friede*.

Sechster Grund: Die Schwierigkeiten, die Weltleute mir bereiten, haben keine politischen Grunde. Denn diese Leute wissen, dass ich mich nicht in die Politik einmische, dass ich die Politik fliehe. Vielleicht gehen ihre Schikanen bewusst oder unbewusst auf die Rechnung ihres Atheismus, weil ich doch dem Glauben (din) verbunden bin.

kein Ton