Brief | Vierundzwanzigster Brief | 393
(391-425)

Eine bloße Wahrscheinlichkeit besitzt jedoch keine wahre Existenz und die Zahl der Möglichkeiten ist unendlich. Was aber keine Existenz, kein Dasein hat, das erfordert auch niemanden, verlangt nach keinem, der es ins Dasein gerufen hätte. Was lediglich möglich wäre, wahrscheinlich sein könnte, das kann auch keine Ursache haben. So kann z.B. ein Stückchen unbelebter Materie nicht fragen: »Warum bin ich keine Pflanze?« Es kann sich nicht beklagen. Da es jedoch als ein Stückchen Materie ins Dasein getreten ist, steht es ihm wohl an, seinem Schöpfer dafür zu danken. Eine Pflanze kann nicht fragen, warum sie kein Tier ist und sich nicht darüber beklagen. Da sie jedoch ins Dasein gelangt und zugleich mit ihm das Leben empfangen hat, steht es ihr wohl an, Dank zu sagen. Was nun die Tiere betrifft, so können sie nicht danach fragen, warum sie keine Menschen geworden sind und sich auch nicht darüber beklagen. Da sie jedoch ins Dasein gelangt und zugleich mit ihm Leben und das kostbare Juwel des Geistes (ruh) empfangen haben, steht es ihnen darüber hinaus nur noch wohl an, dafür Dank zu sagen. Diese Beispiele ließen sich noch weiter vermehren.

Oh du Ankläger-Mensch! Du bist nicht im Unerschaffenen geblieben. Du hast dich mit dem Geschenk eines Körpers bekleidet, hast das Leben verkostet. Du bist nicht starr und leblos geblieben, kein Tier geworden. Du hast zur Gnade des islamischen Glaubens gefunden, bist nicht im Irrtum verblieben, hast Gesundheit und Geborgenheit als Geschenk erfahren, usw.

Oh du Undankbarer! Woher nimmst du dir denn das Recht dazu, so nichtig und gierig Gott den Gerechten anzuklagen, weil Er dir die hohen und erhabenen Gnadengaben nicht verliehen hat, die du auch gar nicht verdient hast, weil sie im Bereich des bloß Möglichen und gar nicht Vorhandenen geblieben und nicht in deine Hand gelangt sind, und so Seine Gnadengaben in Undankbarkeit zu verkehren, anstatt Ihm für alle die Stufen des Daseins (das unbelebte wie das belebte, das vegetative, animalische, wie das menschliche), die Er dir als reine Gnadengabe verliehen hat, Dank zu sagen?! Stiege also ein Mann zu der erhabenen Stufe eines hohen Ranges empor, etwa so wie man in einem Minarett hinauf steigt, und empfinge dieser an jedem Treppenabsatz ein großes Geschenk und würde er dann anstatt für die empfangenen Geschenke zu danken vielmehr sagen: »Warum kann ich denn nicht in einem noch höheren Minarett noch weiter hinaufsteigen?« sich darüber beklagen, weinen und seufzen, so würden selbst die Toren begreifen, welches Unrecht er damit beginge, in welch einen Abgrund der Undankbarkeit er dadurch fiele, was für eine große Dummheit er damit machte.

kein Ton