Brief | Zweiundzwanzigster Brief | 368
(357-380)

Denn hätte er im Namen der Scheriah, um des göttlichen Gesetzes willen zugeschlagen, so hätte ihm dies zwar in der Seele weh getan, in seinem Herzen aber wäre weder Zorn noch Mitleid aufgestiegen. D.h. er konnte das Urteil nicht in Gerechtigkeit vollstrecken, weil auch seine Seele daran ihren Anteil genommen hatte.

Eine bedauernswerte soziale Lage und eine fürchterliche Krankheit des öffentlichen Lebens, die das Herz des Islam zum Weinen bringt:

»Wo Feinde von außen her auftauchen und angreifen, hat dies zur Folge, dass die innerlichen Zwistigkeiten vergessen und fallen gelassen werden.« Dies ist eine Angelegenheit des allgemeinen Wohls, die auch noch von den wildesten Völkern beachtet und praktiziert wird. Was aber ist dann mit denen geschehen, die da behaupten, der islamischen Gemeinschaft einen Dienst zu erweisen, die aber ihre kleinlichen Zwistigkeiten nicht vergessen können, während es doch zahllose Feinde gibt, die einer hinter dem anderen zum Angriff bereit stehen und die so den feindlichen Angriffen den Boden bereiten. Dieser Zustand ist eine Verfallserscheinung, eine Barbarei, ein Verrat am islamischen Gemeinschaftsleben.

Dazu hier eine Erzählung, die des Nachdenkens wert ist: Es gab einmal im Volke Hassenan, einem Beduinenvolk, zwei miteinander verfeindete Stämme. Obwohl sie einander bereits mehr als fünfzig Mann umgebracht hatten, vergaßen die beiden miteinander verfeindeten Sippen ihre alten Zwistigkeiten, wenn sie von einem Stamm wie aus dem Volke Hayderan oder Ssipkan angegriffen wurden, und warfen Seite an Seite den Stamm, der sie von außen angegriffen hatte, nieder. Ihre inneren Zwistigkeiten aber tauchten nicht mehr in ihrer Erinnerung auf.

Nun denn, ihr Gläubigen! Wisst ihr, wie viele Feinde, einem solchen Stamm gleich, bereit stehen, um den Stamm der Leute des Glaubens anzugreifen? Es gibt mehr als hundert von ihnen, die alle konzentrisch ineinander liegen. Während man doch nun einander gegen jeden von ihnen unterstützen sollte, man sich eigentlich die Hand reichen müsste, um in Verteidigungsstellung zu gehen, passt es da für Leute des Glaubens in irgendeiner Weise einseitig und eigensüchtig Stellung zu beziehen und sich in einer Zwietracht zu versteifen, die dem Feind den Angriff erleichtert und ihm die Tore öffnet, so dass er in das geheiligte Innere des Islam einzudringen vermag? Von diesen feindlichen Kreisen gibt es, von den Leuten des Irrweges und den Abtrünnigen bis hin zu der Welt der Leute des Unglaubens und der Welt der Unglücke und Katastrophen, vielleicht siebzig verschiedene Arten von Feinden, die eine innerhalb der anderen, bereit stehen, euch zu schaden, und die eine hinter der anderen, euch mit gierigen und giftigen Blicken betrachten. Gegen sie alle ist die Bruderschaft des Islam wie eine starke Waffe, ein schützendes Dach und eine Burg. Wisset: Diese Festung des Islam durch kleinliche Zwistigkeiten untereinander und gegenseitige haltlose Anschuldigungen zu erschüttern, ist in hohem Maße gewissenlos und ganz und gar gegen die Interessen des Islam. Bedenkt dies also und kommt zur Besinnung!

kein Ton