Brief | Neunundzwanzigster Brief | 548
(528-621)

Medizinisch wie diätetisch gesehen schädigt ein Mensch, der seiner Seele bei der Einnahme von Speisen freien Lauf lässt, seinen Körper, weil er der Maßlosigkeit nicht mehr Herr werden kann und das Erlaubte von dem Verbotenen nicht zu unterscheiden vermag. Einem solchen Menschen fällt es mit der Zeit schwer, sich nach den feinen Empfindungen des Herzens zu richten und dem Geist (ruh) zu folgen. Nun nehmen die Vagabunden in ihm selbst die Zügel in die Hand und der Mensch kann (seine Begierde) nicht mehr bezwingen. Jetzt reitet sie ihn vielmehr.

Im Ramadan gewöhnt sich (der Gläubige) mit Hilfe des Fastens an seine Art von Diät. Er unterwirft sich der Askese und lernt, Befehle zu befolgen. Er beugt den Krankheiten vor, indem er seinen armen, schwachen Magen keinen Überlastungen aussetzt und ihn schon wieder füllt, noch bevor er überhaupt leer geworden ist. Dadurch, dass er lernt, sich einem Befehl zu unterwerfen, auf Erlaubtes zu verzichten und von Verbotenem Abstand zu nehmen, befähigt er sich, Befehle, die aus der Vernunft und dem Gesetz erwachsen, leichter zu befolgen. Er bemüht sich somit, sein spirituelles Leben nicht zugrunde zu richten.

Des Weiteren wird der überwiegende Teil der Menschheit sehr häufig von Hunger geplagt. Darum braucht (der Mensch) Hunger und Askese, um Geduld und Ausdauer zu lernen und zu üben. Im Heiligen (Monat) Ramadan ist ein Fasten, wo der Hunger fünfzehn Stunden oder selbst vierundzwanzig Stunden fortdauert, falls man auf das Frühstück (sahur) verzichtet, eine ausgezeichnete Schule der Geduld und der Askese. Mit anderen Worten: das Fasten ist das Heilmittel gegen die Ungeduld und den Mangel an Ausdauer, welche das Übel des Menschen verdoppeln.

Des Weiteren gibt es in der Fabrik des Bauches auch sehr viele Arbeiter. Ferner gibt es im Bauch des Menschen auch noch sehr viele Organe, die unter einander verbunden sind. Wenn nun die Seele nicht im Verlauf eines Monats tagsüber Urlaub von ihrer Arbeit erhält, vergessen auch die Arbeiter in jener Fabrik und alle ihre Organe ihren besonderen Dienst und die Anbetung. Sie sind weiterhin ständig beschäftigt und bleiben so der Zwangsherrschaft (der Seele) verhaftet. Auch die übrigen menschlichen Organe werden durch das Getöse der unsichtbaren Zahnräder und die Dunstschwaden in der Fabrik ganz verwirrt. So sind sie ständig mit sich selbst beschäftigt und vergessen vorübergehend ihre erhabenen Aufgaben (vasife). So kommt es denn, dass sich schon von alters her die Freunde Gottes zu ihrer Vervollkommnung einer Askese mit stets nur wenig Essen und Trinken zu unterziehen pflegten.

Im Zuge des Fastens im Heiligen (Monat) Ramadan beginnen jene Fabrikarbeiter zu begreifen, dass sie nicht allein für die »Fabrik« erschaffen worden sind. Auch die übrigen Organe genießen im Heiligen (Monat) Ramadan statt der niederen Freuden jener Fabrik die Freuden der Engel und Geister. Und ihre Blicke sind unverwandt darauf gerichtet.

kein Ton