Brief | Neunundzwanzigster Brief | 611
(528-621)

Sie haben entweder nicht weiter darüber nachgedacht, oder sie einfach aus den Augen verloren, nichts von ihnen gewusst, oder nicht wissen können. Hätten sie darum gewusst und sie trotzdem nicht angenommen, (so wäre diese Bedingung) nicht erfüllt!...

Was nun aber die zweite Gruppe betrifft: Diese (Menschen) sind geradezu hingerissen von den glänzenden Freuden des Ordens und der Wahrheiten und, da sie die Freuden der Wahrheiten der Schari’ah nicht erreichen können, welche weit über sie erhaben sind, so glauben sie, es handle sich dabei nur um langweilige Formalitäten und zeigen sich ihnen gegenüber gleichgültig. Schritt für Schritt meinen sie, die Schari’ah sei nur eine äußere Schale, die Wahrheit, die sie gefunden haben, hingegen die eigentliche Basis und das Ziel. So sagen sie denn: »Ich habe sie gefunden und sie genügt mir.« und handeln entsprechend den Anordnungen der Schari’ah entgegengesetzt. Diejenigen, die in dieser Gruppe ihre Sinne beieinander haben, sind dafür verantwortlich; sie stürzen ab, ja werden teilweise zu einer Maskerade des Teufels!...

Vierte Anmerkung: Einige Personen unter den Leuten des Irrwegs und in der Sekte der ketzerischen Erneuerung (bid’a) werden in den Augen der Gemeinde (umma) für akzeptabel gehalten. Genauso gibt es aber auch einige Personen, die sich äußerlich in nichts von ihnen unterscheiden, die aber von der Gemeinde zurückgewiesen werden. Ich habe mich darüber gewundert. So war zum Beispiel in der Schule (mesheb) der Mu’tesila ein gewisser Samahschari, den, obwohl er doch einer der eifrigsten (Mitglieder) in dieser Sekte war, die Erforscher der Wahrheit unter den Leuten der Sunnah dennoch und trotz seiner kritischen Anmerkungen, nicht zum Ungläubigen oder Irrgläubigen erklärten, vielmehr nach einem Ausweg suchten, um ihn zu retten. Wohingegen sie andere Imame der Mu’tesiliten, wie Abu Ali Cubbai, obwohl er doch in seinem Eifer noch weit unterhalb von Samahschari stand, ablehnten und zurückwiesen. Mich hat dieses Geheimnis eine lange Zeit neugierig gemacht. Dann aber verstand ich durch die Gnade Gottes: Samahscharis Einwände gegen die Leute der Sunnah erwuchsen aus seiner Liebe zur Wahrheit auf seinem Weg, den er für den richtigen hielt. Das also heißt zum Beispiel (in der Lehre von) der Theodizee, dass die Tiere in seinen Augen selbst Schöpfer ihrer eigenen Handlungen sind. Deshalb akzeptierte er in seiner Liebe zu Gott dem Gerechten und Seiner Rechtfertigung, insoweit es um das Thema schöpferischen Handelns geht, nicht den Grundsatz der Leute der Sunnah. Dementgegen wurden die anderen Imame der Mu’tesiliten weniger um ihrer Liebe zur Wahrheit willen abgelehnt, als vielmehr weil ihr viel zu kurzer Verstand die erhabenen Grundsätze der Leute der Sunnah nicht erreichen konnte und sie (auch nicht dazu in der Lage waren), die umfangreichen Gesetze der Leute der Sunnah in ihrer eigenen engen Vorstellung unterzubringen und sie daher abgelehnt haben.

kein Ton