Brief | Neunundzwanzigster Brief | 612
(528-621)

In genau der gleichen Weise wie die Mu’tesilah den Leuten der Tradition und der Gemeinschaft (Sunnah ve Cemaat) in theologischer Hinsicht widersprach, ist auch der Widerspruch einiger, die einem Sufi-Weg außerhalb der Gelobten Sitte folgen, von zweierlei Art.

Erstens: Sie bleiben ähnlich wie Samahschari, hingerissen von ihrem eigenen Seelenzustand (hal) und begeistert für ihre Schule (meschreb) ein wenig gleichgültig gegenüber dem Verhaltenskodex (der Schari’ah), weil sie (auf diesem Wege) nicht den gleichen Grad an innerer Zufriedenheit erlangen konnten.

Was die zweite Art betrifft, so betrachten (diese Leute) den Verhaltenskodex (der Schariah) im Vergleich zu den (entsprechenden) Regeln des Ordens – Gott bewahre! – als unbedeutend. Denn ihr beschränktes Auffassungsvermögen kann eine solche weitreichende Zufriedenheit nicht umspannen und sie können auf ihrer niedrigen Stufe (maqam) diese hohe Sittlichkeit (adab) nicht erreichen...

Achte Andeutung: Beschreibt acht Abgründe.

Erstens: Ein Teil der Leute, die sich zwar auf dem geistigen Weg befinden, sich jedoch nicht vollkommen an die Gelobten Sitten halten, stürzen so in einen Abgrund, weil sie ihre Gottesfreundschaft dem Prophetentum vorziehen. Im Vierundzwanzigsten und Einunddreißigsten Wort wurde bereits bewiesen, wie erhaben das Prophetentum ist, und wie geradezu öde demgegenüber eine Gottesfreundschaft.

Zweitens: Ein Teil der Leute des Ordens ziehen einen Exzentriker als Gottesfreund einem Sahabi vor, ja betrachten ihn sogar als einem Propheten gleichwertig und stürzen so in einen Abgrund. Im Zwölften und Siebenundzwanzigsten Wort und im Anhang dazu, über die Sahabis, wurde bereits mit Sicherheit bewiesen: die Sahabis unterhielten miteinander eine so besondere Gemeinschaft (sohbet), dass sie nicht durch eine Gottesfreundschaft erreicht werden kann. Die Sahabis können also niemals übertroffen werden und die Gottesfreunde niemals einem Propheten gleichkommen!

Drittens: Ein Teil derer, die geradezu übereifrig ihrem Orden anhängen, opponieren den Gelobten Sitten und geben diese auf, weil sie die Sitten, die Lebensweise und die Rezitationen ihres Ordens vorziehen. Auf diese Weise werden sie in der Befolgung des Verhaltenskodex (der Schari’a) nachlässig und fallen so in den Abgrund.

kein Ton