Brief | Neunundzwanzigster Brief | 591
(528-621)

Was nun das Christentum heutzutage betrifft, so schreibt es den Mittlern und Ursachen eine tatsächliche Wirkung zu, nachdem es einmal das Dogma von der Sohnschaft Gottes angenommen hat. Es kann den Egoismus nicht im Namen des Glaubens brechen. Vielmehr verleiht es dem Egoismus eine Heiligkeit, indem (der Papst als Gottes) geheiligter Stellvertreter von Hasret Isa, mit dem der Friede sei, genannt wird. Aus diesem Grunde können christliche Honoratioren in dieser Welt die höchsten Posten einnehmen und dennoch religiös sein. Ja es gibt in der Tat viele wie den früheren amerikanischen Präsidenten Wilson und den ehemaligen britischen Premierminister Lord George, die genauso fanatisch waren wie ihre Priester. Wer als Muslim zu einer derartigen Stellung aufsteigt, der bleibt selten derart gläubig und standhaft, denn sie können ihren Stolz und ihren Egoismus nicht aufgeben. Was aber wahre Gottesfurcht betrifft, so lässt sie sich nicht mit Stolz und Selbstgefälligkeit kombinieren.

So wie denn in der Tat der Fanatismus des christlichen Adels und die Kraftlosigkeit der muslimischen Oberschicht einen bedeutenden Unterschied aufweisen, so zeigt die Tatsache, dass (die heutigen) Philosophen im (ehemals) Christlichen Abendland dem Glauben gleichgültig oder ablehnend gegenüber stehen, während die überwiegende Mehrheit der aus dem Islam hervorgegangenen Denker ihr philosophisches (Lehrgebäude) auf den Fundamenten des Islam aufgebaut haben, wiederum einen solchen bedeutenden Unterschied.

Des Weiteren können gewöhnliche Christen, die ins Gefängnis geraten oder sonst ein Unglück gestürzt sind, von ihrer Religion im Allgemeinen kaum Hilfe erwarten. Früher verloren die meisten von ihnen ihren Glauben. Ja sogar die gottlosen Jakobiner, diese durch die Geschichte berühmt gewordenen Aufständischen der Französischen Revolution, gehörten zu diesen vom Unglück verfolgten einfachen Leuten. Was jedoch den Islam betrifft, so erwartet die übergroße Mehrheit von denen, die ins Gefängnis geraten oder sonst ein Unglück gestürzt sind, Hilfe aus ihrem Glauben und werden religiös. Auch diese Situation zeigt wiederum einen bedeutenden Unterschied auf.

Dritter Hinweis: Die Leute der ketzerischen Erneuerung (bid’a) sagen: Dieser religiöse Fanatismus hat uns rückschrittlich gemacht. Um in dieser unserer Zeit leben zu können, muss man diesen Fanatismus aufgeben. Ist Europa nicht ein fortschrittliches (Land) geworden, nachdem es seinen Fanatismus aufgegeben hat?

kein Ton