Brief | Neunundzwanzigster Brief | 603
(528-621)

So habe ich auch einige Leute gesehen, die sich selbst für eine Art Mehdi gehalten haben und die auch sagten: »Ich werde einmal der Mehdi sein.« Diese Leute sind keine Lügner und Betrüger. Sie sind selbst Betrogene. Sie glauben, das, was sie da sehen, sei die Wirklichkeit. So wie es bei den Erscheinungen der Namen Gottes von den Sphären des gewaltigen Thrones bis hinab zu den Atomen verschiedene Abstufungen gibt und auch die Orte ihrer Manifestationen sich dementsprechend voneinander unterscheiden, so unterscheiden sich auch die verschiedenen Stufen der Gottesfreundschaft, die aus der unterschiedlichen Art, wie diese Namen Gottes empfangen werden, voneinander. So ist denn der wichtigste Grund für diese Verwirrung folgender: Auf einigen Stufen (maqam) der Gottesfreundschaft finden sich auch die Charakteristika der Aufgaben (vasifah) des Mehdi oder es besteht eine besondere Beziehung mit dem gewaltigen Pol oder mit Khidr. Es gibt auch einige Stufen, die mit besonders bekannten Persönlichkeiten verbunden sind. Tatsächlich werden diese Stufen »Makam-i Khidr«, »Makam-i Uvays« oder »Makam-i Mehdiyet« genannt. Es geschieht aus diesem Geheimnis heraus, dass (Menschen), die diese Stufe erlangt haben, oder doch eine andere Stufe, die dieser Stufe oder doch wenigstens ihrem Schatten ähnlich sieht, glauben, sie seien selbst diese berühmte Persönlichkeit, die mit dieser Persönlichkeit verbunden ist. Sie verstehen sich als Khidr, oder glauben der Mehdi zu sein, oder stellen sich vor, der gewaltige Pol zu sein. Wenn ein solcher Mensch kein Ego hat, das nach Rang und Ansehen verlangt, so wird er von diesem Zustand nicht gefangen genommen. Seine exzessiven Höhenflüge werden als die Äußerungen eines Ekstatikers bewertet. Er ist für sie vielleicht noch nicht einmal verantwortlich. Wenn sein Ego jedoch sich vielleicht versteckt nach Ruhm und Ansehen gesehnt hat, so wird (dieser Mensch) von seinem Ego besiegt, unterlässt es, zu danken, wird stolz, fällt von seinem Stolz Schritt um Schritt herab bis zur Selbstgefälligkeit. So verfällt er schließlich dem (religiösen) Wahnsinn, oder irrt vom rechten Wege ab. Denn er stellt sich die großen Heiligen als Seinesgleichen vor und verliert am Ende all seinen Respekt und seine gute Meinung über sie. Denn in dem Maße, in dem sich die Seele (nefs) in ihrem Stolz erhebt, erkennt sie selbst auch ihre eigenen Fehler. Er vergleicht diese großen Persönlichkeiten mit sich selbst und hält sie für fehlerhaft. Ja sogar sein Respekt vor den Propheten schwindet. So ist es denn für solche, die in einen derartigen Zustand (hal) hineingeraten sind, notwendig, sich nach der Waage des Gesetzes (Schari’ah) auszurichten und die Regeln der Gelehrten und Kenner der Vorschriften des Glaubens als Richtschnur und die Anweisungen der Gelehrten unter den Heiligen, wie Imam Ghasali und Imam-i Rabbani als Wegweiser zu befolgen. Sie sollten ständig ihre eigene Seele (nefs) anklagen und ihren Seelen nichts anderes zuschreiben als ihre Fehler, ihre Unfähigkeit und ihre Armseligkeit. Alle ekstatischen Äußerungen auf diesem Weg entstehen aus der Eigenliebe, denn das Auge der Liebe erkennt keine Fehler. Da ein solcher Mensch sich selbst liebt, glaubt er, dass dieses fehlerhafte, wertlose Stückchen Glas ein Diamant oder sonst ein Edelstein sein müsse.

kein Ton