Brief | Neunundzwanzigster Brief | 606
(528-621)

So wollen wir denn unsere Zuflucht zu Gott nehmen (na’usu bi’llah!), aber dies öffnet nun den Weg in den Abgrund der Leugnung Gottes selbst. In diesem Jahrhundert beherrscht die materialistische Einstellung so weit (alles Denken), dass sie Materie für den Ursprung aller Dinge hält. Wenn in einem solchen Zeitalter die Leute des Glaubens Materie im Grade einer Nichtigkeitserklärung als völlig unbedeutend betrachten und auf diese Weise die Einheit allen Seins (Vahdetu-l’Vudjud) ins Gespräch bringen, so werden vielleicht die Materialisten den Anspruch erheben, zu sagen: »Auch wir behaupten genau das gleiche«. Wohingegen doch der Weg, der von allen Wegen dieser Welt derjenige, der von dem der Materialisten und Natur-Anbeter am weitesten entfernte Weg der Weg der Einheit allen Seins ist. Denn die Anhänger dieser Einheit allen Seins messen in der Kraft ihres Glaubens der Existenz Gottes eine solche Bedeutung bei, dass sie (eine tatsächliche Existenz) des Alls und allen Daseins bestreiten. Was aber die Materialisten betrifft, so messen sie allem Sein eine solche Bedeutung bei, dass sie auf Kosten des Universums Gott verleugnen. Wo also sind nun diese (Materialisten) und wo jene (Sufi-Mystiker)?... Die sechste Andeutung: Besteht aus drei Punkten. Erster Punkt: Unter den Wegen zur Gottesfreundschaft besteht der schönste, unmittelbarste, reichste und strahlendste in der Befolgung der Gelobten Sitten. Das heißt: bei all seinen Handlungen und in all seinem Verhalten an die Gelobten Sitten zu denken, sie zu befolgen und nachzuahmen und in seinem ganzen Umgang und bei allen Tätigkeiten an die Gesetze des Islam zu denken und sie sich zur Richtschnur zu nehmen. Wer ihnen also nun in dieser Weise folgt und ihnen nacheifert, dessen alltägliche Haltung und all seine Handlungen und sein natürlicher Umgang werden zu einem Gottesdienst. Durch diese Befolgung der Tradition und des Gesetzes erinnert ihn jede seiner Taten daran, dass er unter der Herrschaft des Gesetzes steht. Diese Erinnerung lässt ihn an den Herrn des Gesetzes denken. Dieses Denken ruft ihm Gott den Gerechten in Erinnerung. Diese Erinnerung wiederum ruft in ihm eine Gegenwart (husur) wach. In diesem Zustand können alle Minuten seines Lebens ständig in dieser Gegenwart als eine Art Gottesdienst gelten. Diese große Straße ist die Straße der Gefährten des Propheten und der vorausgegangenen aufrechten Persönlichkeiten, welche die Leute des Erbes des Prophetentums sind, das die große Gottesfreundschaft ist. Zweiter Punkt: Der wichtigste Grundsatz auf dem Weg der Gottesfreundschaft und in den verschiedenen Richtungen der Sufi-Orden ist die Wahrhaftigkeit; denn durch die Aufrichtigkeit kann man sich von versteckter Abgötterei befreien. Wer diese Wahrhaftigkeit noch nicht erworben hat, kann auch nicht auf dieser Straße fahren. Die mächtigste Kraft auf dieser Straße ist die Liebe (muhabbet). Liebe sucht bei ihrem Geliebten (mahbub) in der Tat nicht nach Schwächen und will seine Fehler nicht sehen. Schwache Hinweise auf die Vollkommenheit des Geliebten sieht sie als starke Beweise an. Immer steht sie auf der Seite ihres Geliebten. So ist es denn auf Grund dieses Geheimnisses, dass diejenigen, die sich auf den Füßen der Liebe dem Wissen um Gott (marifetullah) zuwenden, Zweifel und Kritik kein Gehör schenken.

kein Ton