Brief | Neunundzwanzigster Brief | 607
(528-621)

Sie retten sich leicht (vor ihnen). Sollten sich selbst Tausende von Teufeln versammeln, könnten sie doch in den Augen (eines Liebenden) kein einziges Zeichen der Vollkommenheit seines wahren Geliebten leugnen. Wäre da keine Liebe, kämpfte er verzweifelt gegen die Kritik seiner eigenen Seele (nefs), seines Teufels und aller Teufel um ihn herum. Er müsste geradezu eine heldenhafte Standhaftigkeit, Glaubensstärke und Aufmerksamkeit haben, um sich retten zu können. So ist es denn um dieses Geheimnisses willen, dass die Liebe (muhabbet), die aus dem Wissen um Gott aufsteigt, auf allen Stufen der Heiligkeit die bedeutendste Hefe und das wichtigste Elixier ist. Aber die Liebe enthält einen Abgrund: sie springt von einem inständigen (Bitten und) Flehen und jener (Demut), Nichtigkeit (und Anspruchslosigkeit), die das Geheimnis der Anbetung ist, zu (einem Seelenzustand, wo sie am liebsten nur noch gebeten werden und nur noch Ansprüche stellen möchte) einer (reinen) Unausgewogenheit in ihrem Handeln. Wenn sie sich allen außergöttlichen Dingen (dieser Welt) zuwendet und dabei von der präpositionalen Bedeutung (der Dinge) zu deren eigentlicher nomineller Bedeutung übergeht, so verwandelt sie sich von einem Heilmittel in ein Gift. Das aber heißt, dass jemand, obwohl er andere Dinge liebt als Gott, dennoch sein Herz um Gottes des Gerechten und um Seines Namens willen und weil sie ja Spiegel Seiner Namen sind, an sie binden sollte. So denkt er denn manchmal an die Objekte seiner Liebe um der Objekte und der ihnen eigenen Vollkommenheit und ihrer essentiellen Schönheit willen. Er liebt sie um ihrer selbst willen. So kann er sie, auch wenn er nicht an Gott und seinen Propheten denkt, dennoch lieben. Diese Liebe ist kein Mittel, um Gott zu lieben. Sie ist ein Schleier vor ihm. Geschieht dies jedoch in ihrer präpositionalen Bedeutung, so geschieht es um der Liebe Gottes willen; ja man kann hier sogar von einer ihrer Manifestationen sprechen. Dritter Punkt: Diese Welt ist das Haus der Weisheit, das Haus des Dienstes. Es ist kein Haus der Bezahlung und der Belohnung. Der Sold für hier geleisteten Dienst und hier verrichtete Arbeit liegt im Zwischenreich und im Jenseits. Die hier geleistete Arbeit trägt im Zwischenreich und im Jenseits ihre Früchte. Da dies nun einmal Tatsache ist, sollten wir die Ergebnisse unserer Handlungen, die ja dem Jenseits angehören, nicht im Diesseits suchen. Würden sie ausgeteilt, sollten sie nicht in Zufriedenheit, sondern mit Bedauern entgegengenommen werden. Denn nach dem Geheimnis, dass die Früchte des Paradieses, sobald sie gepflückt werden, an gleicher Stelle wieder nachwachsen, ist es nicht vernünftig, die Früchte der Taten, die dem Jenseits gehören und als immerwährend gelten, schon in dieser Welt in ihrer vergänglichen Form zu verzehren. Es ist, als wolle man eine ewig brennende Lampe gegen eine Lampe austauschen, die nur eine Minute brennt und dann wieder verlischt. So ist es denn auf Grund dieses Geheimnisses, dass die Leute der Gottesfreundschaft alle Arbeiten, Schwierigkeiten und Unglücke als angenehm empfinden, sich nicht beklagen noch beschweren, sondern sagen: »Lobpreis und Dank sei Gott für einen jeden Zustand!« Wenn ihnen Erleuchtung und Wunder, die Entfaltung (des Geistes) und das Licht (der Seele) geschenkt wird, so nehmen sie (diese Dinge) als göttliche Gunsterweisungen an und versuchen sie zu verbergen.

kein Ton