Brief | Neunundzwanzigster Brief | 604
(528-621)

Der gefährlichste Fehler unter diesen ist der, dass er sich vorstellt, diese Art Meinungen und Ansichten, die zuweilen wie Eingebungen in seinem Herzen auftauchen, seien »Gottes Wort und Wunderzeichen« (Kelamullah ve Ayat). Daraus erwächst eine Respektlosigkeit gegenüber der Offenbarung Gottes in all ihrer Erhabenheit und Heiligkeit. Nun sind in der Tat alle Eingebungen (ilham) von den Eingebungen der Biene und anderer Tiere bis zu den Eingebungen gewöhnlicher Leute und der geistlichen Elite, den Eingebungen einfacher Engel bis zu den (Engeln nahe dem Throne Gottes) Cherubim eine Art Wort des Herrn. Doch sie sind Wort des Herrn in der Übereinstimmung mit der Fähigkeit des Empfängers und seiner individuellen Stufe (maqam), wie sie gleich Funken in verschiedenen Formen der Ansprache des Herrn durch siebzigtausend Schleier zu uns hindurchdringen. Jedoch solche Eingebungen mit derart besonderen Ausdrücken wie »Vahiy« (Offenbarung), »Kelamullah« (Wort Gottes) oder »Ayat« (Wunderzeichen) zu bezeichnen, wie sie nur den Sternen des Qur’an zukommen, dem klarsten und konkretesten Beispiel für Gottes Wort, ist völlig falsch. Wie bereits im Zwölften, Fünfundzwanzigsten und Einunddreißigsten Wort erklärt und bewiesen wurde, ist, was immer nun die Beziehung dieses kleinen, trüben und verschleierten Bildes der Sonne, wie es in dem gefärbten Spiegel in deiner Hand erscheint, mit der Sonne am Himmel sein mag, vergleichbar mit der Eingebung in den Herzen derer, welche die obigen Ansprüche erheben und den Ayat der Sonne des Qur’an, welche das unmittelbare Wort Gottes ist. Wenn man sagt, dass die Abbilder der Sonne in allen Spiegeln erscheinen und mit ihr in Beziehung stehen, so wäre das richtig. Aber die Erdkugel kann nicht mit den Spiegeln jener winzig kleinen Sonnen verbunden sein und kann nicht durch deren Anziehungskraft gebunden werden!... Fünfte Andeutung: Einer der besonders wichtigen Wege im Orden ist die »Einheit im Zeugnis«, welche die »Einheit im Sein« genannt wird. Dieser Weg beschränkt den Blick auf die Existenz des notwendig Seienden (Vadjibu-l’Vudjudun Vudjuduna) und hält alles andere im Vergleich mit dem, der da notwendigerweise Sein muss, für so schwach und nur schattenhaft in seinem Dasein, dass er es nicht für würdig erachtet, mit dem Ausdruck »Dasein« (vudjud) bezeichnet zu werden. (Auf diesem Weg) wird alles in den Schleier einer (bloßen) Vorstellung gewickelt, sodass es auf der Stufe (maqam) der Aufgabe (und des Loslassens) von allem als nichts zählt, ja als gar nicht vorhanden vorgestellt wird, wobei man letzten Endes so weit geht, den Erscheinungen der Namen Gottes die Gestalt eines nur vorgestellten Spiegels zu geben. So ist denn ein wesentlicher Faktor dieses Weges der, dass durch die Existenz des Notwendig Seienden, die sich mit der Stärke des Glaubens durch eine hohe Gottesfreundschaft im Grade einer wahrhaftigen Gewissheit entfaltet, das Dasein möglicher Wesen in einem Maße heruntergespielt wird, dass außer einer bloßen Vorstellung und dem Nichtsein kein Platz in ihren Augen mehr bleibt.

kein Ton